Die Gipsmühlen hatten eine lange Tradition in Neustadt. Dies kann in Resten noch in Neustadt nachgewiesen werden. Es ist deshalb von Bedeutung, wenn die noch vorhandenen Reste gesammelt und der breiten Bevölkerung an Hand der Rekonstruktion die Geschichte der Gipsmühlen und ihr Wert für die Landwirtschaft aufgezeigt werden kann.

Lage

Am Ortsrand von Neustadt, unmittelbar an der ehemaligen Kelter.
Daneben befindet sich das Regenrückhaltebecken als Biotop.
Die ehemalige Kelter wird von dem Obst- und Gartenbauverein Neustadt benutzt.
Die Umgebung ist geprägt von Obstbäumen und dem Bewuchs des Biotops.

Baubeschreibung

Das Bauwerk ist als Überdachung der Gipsmühle gedacht.
Der Mahlgang aus Sandstein, Durchmesser ca. 5,30 m ist bereits
verlegt. Der Mahlstein befindet sich im Eigentum des Vereins.

Das Gebäude ist als quadratisch mit einer Außenlänge von 6,30m/6,30m
konzipiert. Das Dach als allseitiges Walmdach. Ausführung in reiner
Holzkonstruktion. Entwässert wird das anfallende Regenwasser in
Sickerschächte

Fundamente: Beton
Holzkonstruktion: Vollholz bzw. Leimholz
Dachdeckung: Biberschwanz-Einfachdeckung

Dokumentation

Hier können Sie die Dokumentation der Rekonstruktion herunterladen: Download

10-jähriges Jubiläum der rekonstruierten Gipsmühle

Mit einer kleinen Hocketse, einer Bilderausstellung und einem Festvortrag wurde am 30. September 2018 das 10-jährige Bestehen der Gipsmühle, genannt Hermannsmühle gefeiert.

Bilderausstellung

Bilderausstellung

 

Vortrag von Dr. Karin de la Roi-Frey

Vortrag von Dr. Karin de la Roi-Frey

Vortrag von Dr. Karin de la Roi-Frey anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der rekonstruierten Gipsmühle in Waiblingen-Neustadt durch den Verein „Neustädter Erinnerungen“ am 30.9.2018

Aus der Zeit vor fast 320 Jahren, nämlich von 1701, stammt die allererste Nachricht über eine Gipsmühle in Waiblingen-Neustadt. Dort hat ein Johannes Unger zwei außerhalb des alten Ortes gelegene Äcker „nächst seinem Haus in den Thoräckern, … mit einer Gipsmühle überbaut“, zitiert Joachim Peterke das Kirchenregister in seiner Ortsgeschichte von Neustadt. Jahrzehnte später werden auch wieder eine (1770), zwei (1775) und mit einem sprunghaften Anstieg dann sieben Gipsmühlen (1793/94) registriert, die Neustadt zu einem regelrechten „Gipsmühlendorf“ machen.

Im Jahr 1837, als noch drei Gipsmühlen in Neustadt arbeiten, heißt der Pfarrer Gottfried Kurtz (1798-1837). Mit seiner Frau Louise geb. Lotter (geb. 1802) ist er seit fünf Jahren auf der Pfarrstelle. Kurtz hat es nicht schlecht getroffen. Eine Heilquelle sorgt für gute Jahre in „Bad Neustädtle“, jährlich kommen 60 bis 80 Kurgäste, unter ihnen so berühmte wie Ludwig Uhland (1787-1862) und Nikolaus Lenau (1802-1850). Abseits dieser kleinen, feinen Kur- und Badewelt leben die Einheimischen. Viele sind arm und auf Unterstützung angewiesen. Schlecht genährt und abgearbeitet werden 61 Neustädter 1835 das Opfer einer schweren Typhusepidemie. Als sie abzuklingen beginnt, lebten 35 Witwen im Ort. Pfarrer Kurtz durchleidet diese Zeit mit seiner Gemeinde, beginnt aber zu kränkeln und muss schließlich einen Vikar an die Seite gestellt bekommen. 1837 stirbt er mit noch nicht einmal vierzig Jahren. Seine Frau Louise muss als Pfarrerswitwe nun sehen, wo sie mit ihren zwei Töchtern bleibt. Sie geht zurück zu ihrer Familie nach Stuttgart. Das Tuchgeschäft ihrer Eltern am Marktplatz 5 gilt als eine der besten Adressen der Residenzstadt. Tochter Adelheid besucht das Königin Katharina-Stift und wird Lehrerin. Sie unterrichtet 44 Jahre am Evangelischen Töchterinstitut (heute: Mörike-Gymnasium) und wird 1906 pensioniert. Fast vorbei die Zeiten, als Goethes Freund Johann Gottfried von Herder (1744-1803) schwadronierte: „Eine Henne, die da krähet, und ein Weib, das gelehrt ist, sind üble Vorboten, man schneide beiden den Hals ab.“

Aus den Jahren bis 1837 haben sich auch Nachrichten über das alltägliche Leben im kleinen Gipsmühlendorf Neustadt erhalten. So hat ein junger Neustädter Bursche 1807 einen anderen „ohne Ursach blutig geschlagen.“ Die Strafe folgt sogleich: „Er soll, da er noch nicht gehuldigt hat [noch nicht volljährig ist, d. V.], vom Büttel mit dem Weidenstumpen abgestraft werden.“ 1828 hat der Schüler Jakob U. im sicher übervollen Klassenzimmer trotzdem eine ganze Sitzbank für sich allein, denn er kann „wegen Ungeziefers neben kein anderes Kind gesetzt werden.“ Fünf Jahre später klagt der Dorflehrer gegen den Schmied B., der ihn einen lausigen Rotzbuben genannt habe, dem er den Buckel vollschlagen werde, weil der Lehrer die Tochter des Schmieds beim Pfarrer anzeigt hat, sie habe ihre Aufgabe über die ´Ärnt-Vakanz` nicht gemacht.“

Die „Ärnt“ oder Ernte steht am Ende einer tradierten landwirtschaftlichen Produktionsweise, die im 18. Jahrhundert zunehmend zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Erörterung wird. Im Hinblick auf eine wachsende Bevölkerung, die mit den herkömmlichen Anbaumethoden irgendwann nicht mehr ernährt werden kann, werden neue Konzepte gesucht, die die landwirtschaftliche Produktion erhöhen. Kunstdünger ist unbekannt, es wird ihn erst nach 1900 geben. Die Menschen arbeiten mit dem System der Dreifelderwirtschaft, die aber im Laufe der Zeit nicht mehr den Nahrungsmittelbedarf decken kann, denn sie laugt den Boden aus. Dünger muss her, und wenn es Knochenmehl ist Diesen „natürlichen“ Dünger besorgte man sich auf den Schlachtfeldern Europas, in den Katakomben Siziliens und an anderen Orten wie verlassene Friedhöfe oder Richtplätze. In Knochenmühlen werden die menschlichen Gebeine zermahlen und dann weitertransportiert. Uns so sind z. B. viele Massengräber aus der napoleonischen Zeit heute nicht mehr auffindbar. Aber die „Vorräte“ an Knochenmehl sind begrenzt, und so wird Stallmist wertvoll für die Bauern. Die Tiere aber können gar nicht so viel produzieren, wie benötigt wird. Ihre Endprodukte reichen nicht aus, um die Felder zu düngen. Sehr genau wird darauf gesehen, dass sozusagen nichts verkommt. Oberämter mancher Orte rügen, dass das „Stallwasser, das beste aller Düngungsmittel“ auf die Straße läuft. Aber was heißt „Stallmist“ oder „Stallwasser“? Auch menschliche Endprodukte sind heiß begehrt. Daran erinnert ein „Potchamber“ mit seiner Aufschrift: „Hier werrat gsammelt vom Ma ond dr Frau Liebesgaben für da Ackerbau. Drom druckat und dränglät mit aller Kraft zom Sega dr notleidenda Landwirtschaft.“ In den größeren Orten und Städten holen die „Goldwagen“ oder „Scheißbrühfahrer“ die Ergebnisse vom „Druckä“ und „Dränglä“ ab, während in den ländlichen Gegenden die Wege zum endgültigen Einsatzgebiet kürzer sind. Auch Weinberge, so die Stuttgarter noch bis 1954, werden auf diese Weise gedüngt. Was für ein Unglück, wenn beim Hochkarren das Wägelchen zusammenkracht und der Inhalt des Bottichs nicht mehr aufzuhalten ist. „Jetzt hem mr en ganzes Jahr umsonst g`schisse!“ soll mancher geklagt haben.

Es sind zunächst vor allem Gemeindepfarrer, nur zu gut bekannt mit den Sorgen der Menschen, die sich mit der Verbesserung der Ernährungslage durch höhere landwirtschaftliche Erträge befassen. Zu ihnen gehört Johann Gottlob Steeb (1742-1799), dessen Familie seit 1470 in Waiblingen-Bittenfeld nachgewiesen ist. Im Alter von dreißig Jahren übernimmt er die Pfarrstelle in Dürnau/ Göppingen und heiratet Johanna Luise Reinhardt (geb. 1751) aus Beutelsbach, die vierzehn Kinder zur Welt bringt. In seinen Schriften „Von der Verbesserung der Kultur“ (1792), „Vollständige Abhandlung vom Wiesenbau“ (1798) und „Über die Bildung eines Landwirts“ (1799) propagierte Steeb Futterpflanzen wie Esper (Esparsette) für bessere Erträge. Und schon hat er einen Ehrentitel: „Apostel des Espers“.

Eine Generation früher, 1768, also 30 Jahre vor der Französischen Revolution, macht sich der Pfarrer Johann Friedrich Mayer (1719-1798) eine Namen als „Bauernaufklärer“ oder „Apostel des Gipses“. Er veröffentlicht eine kleine, aber folgenreiche Schrift mit dem Titel: „Die Lehre vom Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu allen Erd-Gewächsen auf Aeckern und Wiesen, Hopfen- und Weinbergen“. In Neustadt gibt es zu dieser Zeit schon seit einem halben Jahrhundert eine Gipsmühle. Die dortigen Bauern wissen also wohl schon länger von der Kraft und dem Nutzen dieses Naturdüngers, den der „Bauernaufklärer“ Mayer nun mit seiner Veröffentlichung weithin bekannt macht und empfiehlt. Denn über Dung weiß Mayer Bescheid: „Es ist nicht möglich, ein anhaltend ergiebiges Feld ohne diesen zu denken, wann … ihn nicht ein Nil überströmet und befruchtet.“ Als Ersatz für den Nil dienen die bisher bekannten Dünger „von lebendigen Geschöpfen, die verschiedenen Erden und Schlamm“, auch Kalk und andere Naturvorkommnisse. Die allerdings haben „einen Fehl, sie sind zu selten … zu theuer und zu kostbar.“ Was man sich zu dieser Zeit überhaupt nicht vorstellen kann, ist die Erzeugung eines künstlichen Düngers. Wie sollte denn aus einer anorganischen Substanz eine organische entstehen. Organische Verbindungen können doch nur von Lebewesen hergestellt werden, oder? 1828 wird Friedrich Wöhler (1800-1882) mit der Herstellung eines künstlichen Harnstoffs das Gegenteil beweisen. Noch steht die Zeit der chemischen Düngemittel aber an ihrem Anfang.

In Neustadt verwendet man das Düngemittel, das reichlich vorhanden ist, denn, so berichtet Johann Friedrich Mayer: „Der Gips-Stein, so roh wie er ist, ist das allervortrefflichste Düngungsmittel, so daß man jemals gehabt oder entdecket hat.“ Versuche bestätigen ihn: „Es ist keine Gattung Früchte, die nicht eine Nahrung von ihm erhält; Erbsen, Linse, Wicken, Haber, Roggen, sogar der Tabak. Der Klee, auch auf Feldungen gesähet, wo kein Halm Haber mehr wachsen will, wächst des Jahres viertes bis fünftes Mal ellenhoch festes empor.“ Im „Kampf gegen thörichte Vorutheile“ verwendet er Gips auch in seinem Baumgarten und auf seinen Pfarrwiesen im Hohenloheschen. Gips wird im heutigen Rems Murr-Kreis nicht nur in Neustadt, sondern auch im Ramsbachtal bei Schorndorf, im Wieslauftal, bei Fornsbach, Murrhardt und Unterbrüden abgebaut. Mayer schreibt, „daß ein Land, so einen Gips-Steinbruch besitzet, einen unzuberechnenden Vortheil vor anderen hat.“  Wie kommt nun der Gips auf`s Feld? Er wird von Gipsmüllern in Steinbrüchen abgebaut und in ihren Mühlen zu pulvrigem Düngergips gemahlen, so 1770 in Neustadt mit einem wassergetriebenen Mahlwerk, später übernehmen Pferde das Ziehen des Mahlsteins über den ausgelegten Gips, dessen Pulver auch nach auswärts verkauft wird. Die Neustädter erzielen damit „ein großes Commercium“, einen hohen Gewinn, denn „von allen Orten und Enden“ wird Gips abgeholt. Der Export geht bis nach Schwäbisch Gmünd und Ellwangen. In den Meldungen ans Steueramt allerdings werden aus den für das Mahlen benötigten Pferden kurzerhand Menschen, denn für die muss man keine Steuern zahlen. Das wissen die alten Neustädter auch schon: Steuerzahler sind die einzigen Lebewesen, denen man das Fell mehrmals über die Ohren ziehen kann bzw. Steuerzahler dürfen auch ohne Examen für den Staat arbeiten.

In manchen Orten des Abbaus wird Gips gar nicht benötigt und deshalb nach außerhalb verkauft. Davon erzählt der bis heute bekannte Enkel eines der drei letzten Gipsmüller in Pfullingen. Friedrich List (1789-1846): „Der zerkleinerte Gips … wurde … mit aus Weiden geflochtenen Wannen oder Blechwannen auf dem Kopf die zwei Treppen hinaufgetragen in den Mahlgang. Mein Vater erzählte mir, daß er als Schulbub frühmorgens öfters seinen Vater beim Gipsmahlen ablösen mußte, damit mein Großvater einige Stunden schlafen konnte, denn in der Saison [Januar bis März, d. V.] wurde Tag und Nacht gemahlen. Das wurde zur Zeit meines Vaters dadurch erleichtert, daß unterhalb des Rostes eine Transportschnecke eingebaut wurde, anschließend eine Elevator, der den Gips nach oben zum Mahlgang beförderte, denn meine Vater hätte ja als Schulbub nicht die vollen Wannen auf dem Kopf nach oben tragen können.“ Kunden waren vor allem die Bauern der Reutlinger Alb: „Wenn sie Holz oder Kartoffeln nach Reutlingen zum Markt brachten, nahmen sie als Rückfuhren den Düngergips mit“,

Wiebke Kossow schreibt in ihrem Artikel „Neustadt – ein ehemaliges Gipsmühlendorf“ (Neustädter Erinnerungen, Heft 2): „Nach dem 1. Weltkrieg gab es scheinbar keine Mühle mehr, das hat natürlich damit zu tun, dass es mittlerweile den weitaus effektiveren Kunstdünger gab.“ Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gibt es nun Handelsdüngersorten wie das Thomasmehl (als Nebenprodukt aus den Hochöfen des Ruhrgebiets und des Saargebiets), das natürlich vorkommende Kalisalz sowie Chile-Salpeter und Guano, die mit großen Segelschiffen aus Südamerika geholt werden. Sie alle verdrängen Gips als Düngemittel mehr und mehr. Über Jahrhunderte bildet ein im Norden Chiles vorkommendes Salz, der Chilesalpeter, den fast einzigen Rohstoff zur Herstellung verschiedener Säuren und Stoffe, in besonderem Maße aber dient er als Düngemittel. So verbraucht allein Deutschland z.B. 1902 fast 500 000 Tonnen Chilesalpeter zum Düngen. Segelschiffe der großen deutschen Reedereien holen unentwegt Salpeter aus Chile. Dann aber, kurz vor dem 1. Weltkrieg geht die Zeit der Salpeterfahrten zu Ende, weil die Versicherungsprämien für Segelschiffe, die Salpeter bringen, drastisch erhöht werden.

Guano-Dünger ist nichts anderes als der Mist von Seevögeln. Der führt nach Strümpfelbach im Remstal, von wo die Familie Frank um die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgewandert, dabei aber auf einen betrügerischen Auswandereragenten hereingefallen ist. Um die Schiffspassage zu bezahlen, werden sie als Sklaven angeboten. Johanne Frank schreibt nach Hause: „Da sind wir ausgeben worden wie auf dem Viehmarkt das Vieh. Da sind die Herrschaften … gekommen und haben sich Leut rausgesucht aus diesem Menschenmarkt, da sind uns die Haare zu Berg gestanden“. Und ihrem Mann Jakob steht das Schlimmste bevor, muss er doch befürchten die schlimmste aller Arbeiten verrichten zu müssen: Vogeldreckladen (Guano), „was wie die Hölle auf Erden ist“.

1919 erhält Fritz Haber (1868-1934) den Nobelpreis für die Erfindung eines synthetischen Stickstoffdüngers. Nicht ganz hundert Jahre später (2002) wird in einer Scheune im Erbachhof ein Gips-Mahlstein gefunden, der 2008 in einer rekonstruierten Gipsmühle seinen Platz findet. Gleichzeitig erscheint in den „Neustädter Erinnerungen“ zum ersten Mal ein umfassender Bericht über diesen Erwerbszweig in Neustadt. 2018 wird das zehnjährige Jubiläum der wieder aufgebauten Gipsmühle gefeiert – 250 Jahre nach den bahnbrechenden Ideen des „Gips-Apostels“ Mayer und 317 Jahre nach der ersten beurkundeten Gipsmühle in Neustadt.

 

Hocketse

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